Michael O’Brien (*1950 in Memphis, Tennessee) ist mit seiner Porträt- und Dokumentarfotografie bekannt geworden. Seine berufliche Laufbahn startete er 1973 bei der Tageszeitung „Miami News“ als Fotojournalist. Mit durchschnittlich drei Fotoreportagen pro Tag war ein breites Spektrum an Einsätzen zu absolvieren, und die Herausforderung bestand stets darin, „unterschiedliche Möglichkeiten des Erzählens“ mittels der Kamera auszudrücken. Ein erster Durchbruch gelang ihm mit einer Fotografie am Abend von Richard Nixons Rücktrittsrede (am 9. August 1974): Er fotografierte drei Männer in einer Bar, die dem Fernseher, der Nixons Rede ausstrahlte, den Rücken zuwandten. Ihre Apathie dem Geschehen gegenüber brachte die Stimmung des Landes auf den Punkt - die Miami News benutzte das Foto am nächsten Tag für ihre Titelgeschichte.
Immer wieder verfolgte er mit seiner Kamera eigene, längere Recherchen. 1975 beobachtete er zufällig einen Wohnsitzlosen, der unter einem Straßenviadukt einen Kartonverschlag zur Übernachtung einrichtete. Die darauffolgenden Tage sah er ihn an gleicher Stelle wieder und O’Brien begann, sich für diesen Menschen zu interessieren. Was war ihm widerfahren, und weshalb war er obdachlos? So machte er Bekanntschaft mit John Madden, einem obdachlosen Alkoholiker, der einst verheiratet war, drei Töchter hatte und beim Militär Dienst getan hatte. Er gewann sein Vertrauen und begleitete ihn über 6 Monate lang, lauschte seinen Geschichten, durfte ihn fotografieren und freundete sich mit ihm an. Dann war er eines Tages plötzlich weg - im Alter von 57 Jahren war er still und einsam verstorben. Als er seiner Zeitung die Fotoreportage über John Madden vorlegte, wurde diese abgedruckt und er erhielt dafür 1976 den „Robert F. Kennedy Journalism Award“. Im Folgejahr erhielt er mit seiner Dokumentation über Culmer, das Schwarzen Ghetto in der Innenstadt Miamis, diesen Award gleich noch einmal. Diese Reportage, die die arme schwarze Bevölkerung in dem heruntergekommenen Stadtteil porträtierte, trug mit dazu bei, dass das Viertel anschließend saniert und die Lebensbedingungen für ihre Bewohner verbessert wurden.
In den letzten vier Jahrzehnten hat er amerikanische Präsidenten, Prominente, Finanzinvestoren, aber auch den typischen Kleinstadt-Amerikaner fotografiert. O'Brien hat 3 Bücher herausgebracht: „The Face of Texas“ (Bright Sky Press, 2003 und überarbeitete Fassung 2014) gibt ein lebendiges Bild des Südstaates Texas durch die Porträts seiner Einwohner: Wir begegnen George W. Bush, dem damaligen Gouverneur, dem Sänger Willie Nelson, dem Künstler Ran Horn und vielen anderen. In „Hard Ground“ (University of Texas Press, 2011) knüpft er an seine Begegnung mit John Madden an und porträtiert eine Reihe von Gestrandeten - Besitzlose, aber dennoch ihrer Würde bewahrt. Die Porträts werden begleitet von Gedichten des Sängers, Schauspielers und Filmregisseurs Tom Waits - von der New York Times als „the Poet of Outcasts“ – Dichter der Ausgestoßenen – beschrieben. „The Great Minds of Investing“ (Finanzbuchverlag, 2015) zeigt uns eine Reihe von Porträts berühmter Investoren wie Warren Buffett, Charlie Munger, den 108-jährigen Irving Kahn, Marty Whitman und andere mit jeweils kurzen Begleittexten zu deren Lebens- und Werdegängen. Es wurden bereits viele Bücher über das Thema „Investieren“ geschrieben, aber noch keiner hatte in die Augen dieser großen Persönlichkeiten geblickt und ihr Wesen zu erfassen versucht. Michael O’Brien bringt sie uns ganz nahe vor Augen, wir meinen, wir könnten in ihre Gehirne eintauchen und ihre Geheimnisse des erfolgreichen Investierens ergründen.
1979 zog er nach New York, Ende der Achtziger Jahre dann nach Austin/ Texas, wo er heute lebt und arbeitet. Er fotografiert für das TIME Magazine, für das LIFE Magazine, für National Geographic, Esquire, das New York Times Sonntagsmagazin, ESPN und Texas Monthly. Als Werbefotograf hat er sich ebenfalls einen Namen gemacht und arbeitete für Firmen wie Kodak, Nike, Apple, VISA, Wrangler Jeans und Bank of America. Für eine Apple-Kampagne erhielt er den CLIO Award, der als Auszeichnung für Innovation und Kreativität in der Werbung vergeben wird.
“Working for 45 years as a newspaper and magazine photographer, a photojournalist like myself has to survive by his wits. Getting another assignment was dependent upon making a great success of the last job. If I produced mediocre photographs, my career would ultimately fail. I often thought of it like boxing: a photographer needed to be agile, quick, sharp and witty. I had to engage my subject and think on my feet.” (Michael O’Brien)
Michael O'Brien's Fotos sind in u. a. in folgenden Sammlungen zu sehen: Im Harry Ransom Humanities Research Center an der University of Texas in Austin, im Birmingham Museum of Art, im International Center of Photography in New York City, im Tennessee State Museum und in der Wittliff collection of Southwestern and Mexican Photography an der Texas State University. Zwischen 2009–2011 kaufte die Smithsonian Institution's National Portrait Gallery in Washington, D.C. 18 seiner Porträts an, darunter das von Warren Buffett (1988), Larry McMurtry, Howard Finster, Don DeLillo, und Rob Reiner. O'Brien's Porträt von Willie Nelson war in American Cool zu sehen, einer Ausstellung in der National Portrait Gallery (Feb–Sept 2014).